Der Bürger Lars Fassmann: Die Stadt gestalten
Wer von der Augustusburger Straße in die Zietenstraße fährt, drückt noch mal auf’s Gaspedal, um die ersten paar Hundert Meter schnell hinter sich zu bringen. Wer baut denn hier? „Hier ist die verlassenste Ecke der Stadt“, sagt Lars Fassmann. „Deshalb hat es mich gereizt. Brühl kann jeder“, lacht er. Zwischen Fahrbahn und Straßenbahntrasse wäre heute eine weitere Brachfläche, wenn er die Augustusburger Str. 102 nicht gekauft hätte. Der Kopfbau ist praktisch voll vermietet, an Fotografen, Designer, Künstler, eine Band, den Chaos-Computer-Club und andere. Die Miete legen die Mieter fest, lediglich Nebenkosten sind zu zahlen. Im Erdgeschoß wurde der Klubraum Lokomov eröffnet und im Hinterhaus die Galerie Hinten. Danach hat er auf der anderen Straßenseite das ehemalige Sparkassengebäude und die Nachbarhäuser erworben. Auch sie lässt er sanieren.
Wie kam er dazu? Chemnitz war für den jungen Mann aus Garnsdorf der Studienort. Noch vor dem Abschluss in Wirtschaftsinformatik gründete er mit Kommilitonen die chemmedia AG., inzwischen ein weltweit agierender Experte für E-Learning und Bildungssoftware. Als Sitz wurde eine denkmalgeschützte Villa gekauft und saniert, dann ein zweites Gebäude. „Da habe ich ein bisschen was über Altbausanierung gelernt“, sagt er. Heute arbeiten hier 60 Leute, Programmierer, Designer, Pädagogen – Kreative.
Chemnitz hat Mangel an kreativem Personal
Der Unternehmer Fassmann stellt fest, und andere bestätigen es ihm: Chemnitz deckt nicht seinen Personalbedarf in dieser Sparte. Im Vergleich zu Jobs in Hamburg oder Berlin müssen sie sogar Zuschläge zahlen. „Die wollen nach der Arbeit nicht zu Hause in einer günstigen Wohnung sitzen, sondern raus, sie suchen einen Lebensraum, ein passendes Umfeld.“ Und dazu bräuchten sie geeignete Räume. Das Experimentelle Karree an der Reitbahnstraße hatte ihm den Bedarf signalisiert. „Wenn die Stadt dazu nicht in der Lage ist, muss es der Bürger tun. Warum schreit jeder nach der Obrigkeit ‚verbessert bitte alles‘, aber beteiligt sich nicht?“
Er greift auf die Geschichte zurück: In der Epoche der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts sei das Bürgertum aktiv geworden. Es habe viele kreative Gründer gegeben, die sich gegenseitig befruchtet haben. Er vergleicht es mit dem kalifornischen Silicon Valley: „viele Gleichgesinnte, mit denen ich mich über meine Ideen unterhalten kann, die mir etwas zuliefern, denen ich meine Produkte und Dienstleistungen verkaufen kann.“
Deshalb entstehen in den drei Häusern an der Zietenstraße etwa zwanzig Wohnungen, Gewerberäume, ein Veranstaltungsraum und ein Coworking Space: Ein großes Büro mit Möbeln, Technik, Teeküche, in dem man sich nur einen Schreibtisch mietet. Und so mit anderen Kreativen zusammen sein kann. Fassmann rechnet für das Gemeinwesen: „Nur wenn man die kleinen Gründer groß macht, entsteht Chemnitz in den kommenden Jahren durch die Gewerbesteuer Gestaltungsspielraum.“
Wenn er jedoch bei der Stadt für das ordnungsgemäße Aufstellen eines Bauschuttcontainers mit drei Verwaltungsstellen zu tun hat, während nebenan ein Haus einstürzt, ohne dass sich jemand darum kümmert, „haben sich die Prozesse noch nicht auf die aktuellen Gegebenheiten eingestellt. Im Unternehmen nennt man das ein Managementproblem.“
Banken geben keinen Kredit
Ein noch größeres Problem versucht er mit anderen publik zu machen: Die Chemnitzer Banken geben nur in wenigen Premium-Lagen auf dem Sonnenberg einen Kredit für die Sanierung. Fördermittel fließen aber nur bei einer sicheren Finanzierung. „Ich würde gern noch weitere Häuser sanieren, aber keine Bank will finanzieren.“ Dabei seien die sanierten Immobilien gut vermietet. „Die Banken entscheiden hier über die Stadtteilentwicklung!“
Zusammen mit Horst Schreyer, Mitglied im Stadtteilrat, war er bei Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig und hat sie darüber informiert. Sie wolle das aufnehmen. Für den Bürger Fassmann ist von Anfang an die Frage, „ob man seine Stadt mit gestalten will oder sich verwalten lassen.“
Nachtrag 30. Dezember 2016:
Das brand eins hat im Auftrag des Freistaats ein Magazin über Sachsen erstellt. Es erschien am 23. Dezember 2016 – um gute Nachrichten statt all der vielen schlechten zu verbreiten. Aus Chemnitz ist die gute Nachricht: Es gibt Lars Fassmann und Mandy Knospe und den Sonnenberg 😉
Hier der Beitrag: https://www.brandeins.de/wissen/sachsen-machen/lars-fassmann-der-leise-visionaer-chemnitz-sonnenberg-viertel/
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